„On­kel Ha­s­ans Ar­beits­platz“ (Wil­fried Kru­se, 11/2014)

arbeitsplatzDer Haspel, die viele Jahre der Arbeitsplatz von Hasan Koşan war, steht immer noch in der Ecke der Werkshalle, technisch überholt und seit vielen Jahren unbenutzt, gewissermaßen als „Reserve“. Mit ihr wurden Stahldrähte aufgewickelt – eine Vorfertigungsstufe für Autofedern. Keine körperlich besonders schwere Arbeit, aber sie erforderte Aufmerksamkeit und Sorgfalt.

Wir sind im Werk Federn und Stabilisatoren von ThyssenKrupp, einstmals Hoesch, in Hohenlimburg. Hier arbeitete Hasan ununterbrochen 27 Jahre, von seiner Ankunft in Deutschland bis zu seiner Rente im Jahr 1991. Der Vorsitzende des Betriebsrats, Bayram Bahar, selbst Sohn eines „Gastarbeiters“ der 1. Generation, erinnert sich gut an Hasan; während seiner Ausbildung hat er sogar einige Wochen an dem Haspel mit ihm gearbeitet.

Bahar und sein Betriebsratskollege Thomas Oberste-Lehn berichten von der wechselvollen Geschichte des Werks, vom Wechsel der Besitzverhältnisse und von der Bedrohung mit Stilllegung, die abgewendet werden konnte. In den 60iger Jahren hatte das Werk noch um die 1000 Beschäftigte, heute sind es 250. Dies hat vor allem mit mehreren Wellen technischer Rationalisierung zu tun, bei denen viele Arbeitsplätze, an denen gleichförmige, körperlich stark belastende Tätigkeiten zu verrichten waren, wegfielen. Dies setzte aber erst in den 90iger Jahren massiv ein, also zu einer Zeit, in der Hasan schon in Rente war.

Mit Hasan arbeitete damals eine große Zahl von Arbeitsmigranten aus den ländlichen Regionen der Osttürkei im Werk – wie insgesamt im durch Metallindustrie geprägten Lennetal. Sie konnten ohne große Vorbereitung an vielen der damaligen Arbeitsplätze eingesetzt werden. Viele von ihnen, auch Hasan, waren in einem barackenartigen Wohnheim untergebracht, das zwanzig Minuten Fußweg entfernt hinter der Ausbildungswerkstatt lag. Hasan gehörte zu denjenigen, die am längsten im Wohnheim blieben; erst 1977, als seine Familie nachkam, zog er nach Dortmund um.

Die beiden Betriebsräte – und auch der Werksleiter, der zum Gespräch auch hinzugestoßen war – erinnern sich daran, wie in den ersten Jahren mit der großen Zahl von Arbeitsmigranten das Zusammenleben im Betrieb erst erlernt werden musste, und welche wichtige Rolle dabei zum Beispiel der Dolmetscher und der türkische Frisör hatten.

Heute haben sich die Anforderungen am Arbeitsplatz so erhöht, dass alle eine Ausbildung brauchen, wenigstens irgendeine. Aber auch heute noch hat eine große Zahl von Mitarbeitern „Migrationshintergrund“ , aber eben mit Ausbildung, manche von ihnen sind Kinder und Enkel der „1. Generation“.

Der Besuch in Hohenlimburg hat vieles deutlicher gemacht, was bisher bei Hasans Arbeitsbiografie wenig beleuchtet war – auch wohl, weil er zuhause nicht viel über seine Arbeit geredet hat. Auch für die Gesprächspartner im Betrieb war dies ein Anlass, noch einmal die vergangenen Jahre und Jahrzehnte zu überdenken.

So, wie die Betriebsräte erinnern und berichten, ist klar: sie verstehen Hasans Arbeitsbiografie ebenso wie die der anderen bei ihnen „gelandeten“ Arbeitsmigranten nicht als ein von ihnen abgetrenntes Sonderkapitel. Sondern Hasan und die anderen sind Teil der gemeinsamen Geschichte dieses Betriebs und dieser Belegschaft.

Wilfried Kruse