Grie­chi­scher Wein für al­le (Wil­fried Kru­se, 01/2015)

Udo JuergensSchlager antworten auf emotionale Bedürfnisse. Große Schlager zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Gefühlslage vieler sehr genau treffen; sie graben sich in die Gedächnisschleifen der Menschen ein. Refrains, Textzeilen, aber auch Melodien werden zu Zitaten, zu einer Art „volkstümlicher Code“.

Dies gilt sicherlich auch und in besonderer Weise für „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens aus dem Jahr 1974. Aber: Wessen Gefühlslage trifft dieser Schlager über eine Begegnung mit griechischen Arbeitsmigranten in einer Kneipe in Deutschland so gut, dass daraus ein Riesenhit und einer der erfolgreichsten Oldies der Schlagergeschichte wird?

Jürgens hatte die Musik schon fertig, geschrieben während eines Urlaubs auf der Insel Rhodos – und der Griechenland-Bouzouki-Urlaubssound war durch die Costa Cordalis’ und vor allem Vicky Leandros’ gut eingeführt – nur der Text fehlte noch. Jetzt kommt zur Geltung, was Jürgens immer auszeichnete: sein Gespür fürs Soziale. Er kombiniert das Fernweh der Deutschen (Musik) mit dem Heimweh der in Deutschland arbeitenden Griechen (Text).

Und dann erzählten sie mir von grünen Hügeln, Meer und Wind,
von alten Häusern und jungen Frauen, die alleine sind,
und von dem Kind, das seinen Vater noch nie sah.
Sie sagten sich immer wieder: Irgendwann kommt er zurück.
Und das Ersparte genügt zu Hause für ein kleines Glück.
Und bald denkt keiner mehr daran, wie es hier war.

Der Sound trägt wesentlich dazu bei, was dieser Schlager erzeugt: Mitleid und den Appell, so gastfreundlich zu ihnen zu sein, wie diese dem Erzähler gegenüber sind, der sich spätabends in ihre Kneipe verirrt.

Da saßen Männer mit braunen Augen und mit schwarzem Haar,
und aus der Jukebox erklang Musik, die fremd und südlich war.
Als man mich sah, stand einer auf und lud mich ein.

Zugleich reimen sich Sound und Text auf die Botschaft, dass diese in die kalte Fremde verschlagenen Griechen erst wieder glücklich sind, wenn sie zurückkehren, in ein Land, in dem im selben Jahr erst eine siebenjährige brutale Militärdiktatur ihr Ende fand, die viele Menschen zur politischen Migration gezwungen hatte – viele auch nach Deutschland.

Griechischer Wein, und die altvertrauten Lieder.
Schenk‘ noch mal ein!
Denn ich fühl‘ die Sehnsucht wieder;
in dieser Stadt werd‘ ich immer nur ein Fremder sein,
und allein.

Weit über 10 Jahre sind nach Abschluss der Anwerbeabkommen schon vergangen, in Streiks, wie bei Ford 1973, haben Arbeitsmigranten bereits ihre Anerkennung „hier und heute“ eingeklagt, schon 1965 hatte der Schriftsteller Max Frisch festgestellt: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“.

Nun kommen sie tatsächlich im deutschen Schlager an, mit großem Erfolg. „Griechischer Wein“ freut mit Sicherheit viele in Deutschland lebende Arbeitsmigranten, denn über sie wird hier erstmals und mit Sympathie gesungen. Zugleich trifft das Lied gewissermaßen auf ein angestautes schlechtes Gewissen in einem Teil der deutschen „Mehrheitsgesellschaft“ und wird so zur inoffiziellen Hymne des „Gastarbeiter“ – Deutschland. –

Udo Jürgens starb 80jährig kurz vor Weihnachten 2014.

Wilfried Kruse